WM-Kontroverse beim Bundestag: CDU-Mann nennt DFB „naiv“ – Experte sieht verpasste Chance

Selten gab es eine umstrittenere Weltmeisterschaft als die Katar-WM 2022. Im Sportausschuss gaben Experten einen Einblick in die aktuelle Lage vor Ort.
Berlin - Der Sportausschuss im Bundestag widmete sich am Montag zweieinhalb Stunden lang dem Thema Katar-WM. Ziel des Gesprächs, an dem auch der Deutsche Fußball-Bund teilnahm, war eine Bestandsaufnahme viereinhalb Monate vor dem Turnier. Besonders in den Fokus rückte zwangsläufig die Menschenrechtslage, zu der Amnesty International einen aktualisierten Bericht vorlegte.
Katar-WM: CDU-Politiker kritisiert DFB-Statement - „am Ende helfen nicht die warmen Worte“
Wie die DFB-Generalsekretärin Heike Ullrich sagte, ist ein Boykott „nicht hilfreich“. In einer Stellungnahme des DFB zur Katar-WM hieß es im Vorfeld: „Der DFB vertritt die Position, dass gerade der Sport im Rahmen seiner Möglichkeiten auf und abseits des Platzes Brücken bauen kann.“ Man wolle mit öffentlichkeitswirksamer „Strahlkraft“ auf gesellschaftliche Fragen aufmerksam machen.
Der CDU-Politiker Michael Brand nannte es „naiv“ zu glauben, durch die WM-Vergabe würde sich die Lage der Gastarbeiter schlagartig verbessern. „Wir lügen uns da in die Tasche, wenn wir Sprüche ablassen wie: wir reden jetzt einmal über Menschenrechte“, sagte Brand im Sportausschuss. Vom DFB erhoffe er sich konkretere Positionen. „Am Ende helfen nicht die warmen Worte.“
Ullrich argumentierte, Veranstalter der WM sei der Fußballweltverband Fifa. Der DFB wolle sich für Entschädigungshilfen von Gastarbeiten einsetzen, brauche dafür aber die Unterstützung der Fifa. „Wir hoffen auf konkrete Rückmeldungen der Fifa im Sommer.“ Man sei zudem im „aktiven und sichtbaren“ Austausch mit den Sponsoren Adidas und Volkswagen.

Fußball-WM: Menschenrechtsbeauftragte sieht „Licht und Schatten“ in deutscher Katar-Politik
Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg (Grüne), sprach von einer „besorgniserregenden Menschenrechtslage“ und stellte klar: „Wer Gastgeber der Weltgemeinschaft sein will, muss auch der Einhaltung der Menschenrechte Rechnung tragen.“ Deutschland könne seinen Beitrag dazu leisten. „Ich glaube schon noch, dass wir politischen Einfluss auf gewisse Punkte nehmen können“. Amtsberg sprach etwa von härteren Strafen für Missachtung der Menschenrechte oder von der Unterstützung der Schaffung von Arbeitergewerkschaften.
Die Grünen-Politikerin sah in der politischen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Katar „Licht und Schatten“. Positiv sei etwa die Kooperation beim Ausfliegen afghanischer Ortskräfte gewesen: „Dass unser Engagement beim Einsatz für Menschenrechte, über die WM hinausgehen wird, ist selbstverständlich.“ Sie persönlich werde noch vor der WM nach Katar reisen, wo es einen „sehr, sehr zentralen“ Einsatz der deutschen Botschaft gebe. Auch Innenministerin Nancy Faeser (SPD) wird vor der WM in Katar erwartet.
Katar: Amnesty International sieht Rückschritt der Reformen
Amnesty International legte einen aktualisierten Bericht zur Menschenrechtslage in Katar vor: „Neben begrüßenswerten gesetzgeberischen Reformschritten stehen Unzulänglichkeiten, Stagnation und in Teilen sogar Rückschritte in der Reformumsetzung.“ Katar sei aber von den Golfstaaten am reformbereitesten. In Saudi-Arabien etwa sehe die Lage deutlich prekärer aus. Dietmar Schäfers vom Gewerkschaftsbund Bau- und Holzarbeiter Internationale (BHI) bezeichnete Katar als einen „Leuchtturm“ am Golf. Dennoch geschehe die Umsetzung von Arbeitsgesetzen „schleppend“.
In der Summe zeigten die Amnesty-Untersuchungen aber „in aller Deutlichkeit“, „dass für das Gros der Arbeitsmigranten spürbare Verbesserungen ihrer menschenrechtlichen Situation bis heute nicht erlebte Praxis geworden sind“, schilderte Katja Müller-Fahlbusch, Amnesty-Expertin für den Nahen Osten. Wirklich profitieren würden nur die Gastarbeiter, die direkt auf den WM-Baustellen aktiv sind. Das sind etwa zwei Prozent der rund zwei Millionen Arbeitsmigranten in Katar.
Trotz anderslautender gesetzlicher Bestimmungen werden weiterhin Reisepässe von Arbeitsmigranten konfisziert, unbezahlte Überstunden angeordnet, Ruhepausen und -tage verweigert, Hitzeschutzmaßnahmen verletzt, Löhne unterhalb des Mindestlohns gezahlt, Löhne zu spät oder nicht gezahlt und unzulässige Lohneinbußen als Strafmaßnahmen eingesetzt.
Laut Sebastian Sons vom Center for Applied Research in Partnership with the Orient (CARPO) zeigt die WM wie unter einem Brennglas die Strategie des Wüstenemirats. Katar wolle sich als verlässlicher Partner präsentieren, etwa als Partner bei Flüssigerdgas und sich zudem „als Marke etablieren“ und die Legitimität der Herrscherfamilie sichern. „Deutschland muss in Zukunft enger mit Katar zusammenarbeiten, ob es will oder nicht. Katar ist kein Partner der Wahl, sondern ein Partner der Notwendigkeit.“ Sons schilderte Merkur.de in der Vergangenheit bereits die geopolitische Strahlkraft des Wüstenemirats. „Katar hat begriffen, dass man mit dem Sport auf der Weltkarte präsent sein kann und hat in der Sportpolitik weiterhin große Ambitionen.“

Gutachten zur Katar-WM: Boykott? „Es hätte diese Möglichkeit gegeben“
Der Schweizer Universitätsprofessor Thomas Beschorner sprach von einem „Reparaturmodus“. Die Anhörung im Sportausschuss sei begrüßenswert, komme aber Jahre zu spät. Ein Boykott sei damit nicht mehr möglich. „Für die Bundesrepublik Deutschland und den DFB hätte es andere Optionen gegeben, nämlich eine alternative WM mit wesentlichen Fußballnationen organisieren zu können; sprich: die WM im Katar aus humanitären Gründen zu boykottieren“, heißt es in Beschorners Gutachten für das Institut für Wirtschaftsethik der Uni St. Gallen.
Katar-WM: „Die Vergabe hätte nicht passieren dürfen“
Der stellvertretende Vorsitzende des Sportausschusses, Philip Krämer (Grüne), sagt Merkur.de von IPPEN.MEDIA: „Die Vergabe der WM durch die FIFA nach Katar hätte nicht passieren dürfen. Schon damals waren die massiven Menschenrechtsverletzungen des künftigen Gastgebers Katar weithin öffentlich bekannt.“ Amnesty International stützt dieses Bild und fordert, die Einhaltung von Menschenrechten in künftige Vergabeprozesse zu integrieren. Die Non-Profit-Organisation lehnt einen WM-Boykott jedoch ab, da ansonsten keine Reformen möglich wären. Reformen hätte es ohne den geschärften Blick auf das Emirat nicht gegeben, argumentierte auch der zugeschaltete Journalist Florian Bauer.
Beschorner ist nicht der Meinung, dass ein WM-Boykott kontraproduktiv wäre. Durch die WM erhalte Katar eine Aufmerksamkeit, die es ansonsten nicht gebe. Das bedeute keinen Wandel, sondern ein Verfestigen bisheriger Strukturen, was seine wissenschaftliche Untersuchung gezeigt habe. „Demokratisierungen und Liberalisierungen durch sportliche Großveranstaltungen finden de facto nicht statt und dienen nicht selten zur Stabilisierung und weltweiten Geltung von Unrechtsregimen.“ Das trifft nicht nur auf Fußballturniere zu, sondern auch auf Olympia, wie der Historiker Wolfram Pyta im Gespräch mit Merkur.de von IPPEN.MEDIA erklärte. (as)