Scholz „wahnsinnig spät dran“? Giffey hofft bei Illner noch auf Blitz-Wende – Expertin gibt Kunden Ratschlag

Olaf Scholz‘ 200-Milliarden-Abwehrschirm soll ein Zeichen setzen und Deutschland als Wirtschaftsnation stabilisieren. Illner will wissen: Kann der Plan aufgehen?
Berlin – Die 200 Milliarden Euro, die Bundeskanzler Olaf Scholz als „Doppel-Wumms“ zur Regulierung der Energiekrise angekündigt hatte, prangen in großen Lettern hinter den Talkgästen an der Studiowand. „200 Milliarden – bremsen wir so die Krise aus?“, fragt Maybrit Illner in ihrem ZDF-Talk und deutet an, dass auch diese „Mega-Summe“, so die Moderatorin, kein Selbstläufer sei: Nur ein kleiner Teil komme direkt bei den Verbrauchern an.
Der Einspieler zu Beginn der Sendung zeigt auf: Von den 200 Milliarden Euro sind viele bereits verplant. Allein 34 Milliarden Euro für die Verstaatlichung der kollabierten Gas-Importeure wie Uniper & Co. Dazu kämen zahlreiche Kredite an Unternehmen und Konzerne, deren Pleiten dramatische Folgen für den Arbeitsmarkt in Deutschland hätten. Außerdem seien mehrere Milliarden als Liquiditätshilfe für die ebenfalls gebeutelten Stadtwerke auf kommunaler Ebene nötig.
Illner fragt Giffey: Wieviel von den 200 Milliarden Euro kommt bei den Bürgern an?
Wieviel kommt am Ende noch bei den Millionen von Bürgern an, deren Gehälter die gestiegenen Kosten derzeit nicht mehr auffangen könnten? Das will Moderatorin Illner zunächst von Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey wissen. Die umschifft die Frage elegant und will mit positiven Nachrichten an den Talk-Start gehen: „Erstmal finde ich gut, dass die Gasumlage gefallen ist!“, proklamiert sie und verweist auf die Expertenkommission – und auf Karen Pittel, Leiterin des Ifo-Zentrums, die Giffey am runden Tisch der Talk-Runde gegenübersitzt. „Bis zum Ende des Wochenendes“, so Giffey, soll die Kommission die konkrete Ausführung des „historischen Abwehrschirms“ ausformulieren.
„Maybrit Illner“ - diese Gäste diskutierten mit:
- Franziska Giffey (SPD) - Regierende Bürgermeisterin Berlin
- Thorsten Frei (CDU) - Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
- Prof. Karen Pittel - Leiterin des Ifo-Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen
- Dr. Annabel Oelmann - Vorständin der Verbraucherzentrale Bremen
- Gerald Traufetter - Wirtschaftsredakteur beim Spiegel
Unions-Mann Thorsten Frei (CDU) kritisiert diese Herangehensweise: Statt eine Summe zu nennen und dann zu schauen, was damit alles bewerkstelligt werden kann, wäre es „umgekehrt“ besser gewesen, vorab das „richtige Instrument“ zu suchen und dann zu schauen, „was es kostet, was man dafür braucht“. Giffey wischt den Einwurf beiseite und blickt nach vorn: Tenor werde sein, so viel weiß Giffey bereits, dass man einerseits „aufs Energieeinsparen setze“ andererseits den Leuten „Sicherheit“ und „Planbarkeit“ geben wolle. Sie fordert, dass die „hohen Rechnungen, die jetzt ankommen“ auch ein „Stückweit revidiert werden“ müssen. Auch Verbraucherschützerin Annabel Oelmann rät den Menschen, die jetzt am Ende ihrer Ersparnisse sind: „Auf keinen Fall in den Dispo gehen! Ich würde mich an die örtlichen Stadtwerke wenden und im Zweifel nur den Abschlag von davor bezahlen.“
„Abwehrschirm“ bei Illner im ZDF: Frei kritisiert den langen Atem der Bundesregierung – Zeit verschwendet?
Oppositionspolitiker Frei ist das zu optimistisch. Er befindet schlichtweg, der Abwehrschirm sei „nicht zielgenau“, sende nicht das richtige Preissignal, sei nicht gerecht und könne nicht gegen die Inflation wirken. Er schließt sich der Meinung von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (ebenfalls CDU) an, der zuvor in einem Einspieler moniert hatte: „Es dauert einfach zu lang!“ Die Bundesregierung habe - statt Lösungen zu bieten - allein ein Vierteljahr für die Diskussion um die gescheiterte Gasumlage verschwendet habe, pflichtet Frei bei. Die Union habe im Bundestag das Aus der Umlage „zweimal beantragt“, die Koalition habe „zweimal abgelehnt“.
Der CDU-Mann verweist auf den EU-Nachbarn Frankreich, der bereits im Oktober letzten Jahres eine Art Energiepreisdeckel eingeführt habe und wiederholt: „Wir sind jetzt wahnsinnig spät ran. Wir können weder die Bürger noch die Industrie bis weit in den November warten lassen!“ „Der Kanzler“, gibt der Spiegel-Journalist Gerald Traufetter Frei später recht, hätte da „einfach auf den Tisch hauen müssen“.
Bei „Illner“: Experten halten „Kontingentlösung“ bei der Gaspreisbremse für wahrscheinlich
„Wenn man eine Lösung schon kritisiert, bevor die Expertenkommission sie überhaupt erarbeitet hat“, finde sie das „interessant“, moniert Giffey den Einwurf Freis mit süffisantem Unterton. Sie kann sich einen Rüffel nicht verkneifen: „Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, dann wären die Gasspeicher jetzt leer gewesen!“, schimpft sie in Bezug auf CDU-Chef Friedrich Merz’ Forderungen vom Frühjahr, die Gaslieferungen aus Russland einzustellen.
Wie die Ausarbeitung der Kommission lauten könnte, verrät Spiegel-Redakteur Traufetter, der nach eigenen Angaben von einer „Kontingentlösung“ gehört hat. Damit gebe es dann für die Verbrauchereinheiten einen preislich gedeckten Grundkonsum, während alles darüber den freien Marktpreisen unterliegt. So gäbe es weiter einen Sparanreiz. Allerdings würden bereits die Stadtwerke klagen, so der Journalist, es sei „wahnsinnig kompliziert, das können wir nicht leisten“.
Energie-Krise: Verbraucherschützerin berichtet von Selbstmord-Drohungen in den Beratungsstellen
Pittel ist das zu viel Kartenleserei: „Vier Tage vor Ergebnis jetzt zu spekulieren“ hält sie für falsch. Es würden dadurch lediglich „falsche Erwartungen erweckt“. Sie gibt aber der „Kontingentlösung“ weiter Futter und zeigt noch einen anderen Weg auf, wie das Geld zu den Bürger kommen könnte - nämlich „direkt aufs Konto“. Dann könne jeder „selbst entscheiden, ob fürs Gas oder was anderes“. Giffey ergänzt noch: „Dieser Deckel wird sicherlich zwei Jahre gehen“, es sei wichtig etwas festzusetzen, dass dann „auch ein bisschen länger trägt“. Pittel spricht Klartext: Wenn Deutschland die Einsparungen nicht schaffe, „bricht unsere Wirtschaft bis zu acht Prozent ein“.
Verbraucherschützerin Oelmann sieht noch ganze andere Probleme auf die Politik zukommen. Sie spricht von Verzweiflung und dem Druck, dem sich derzeit viele Menschen ausgesetzt fühlten. Teils kämen bereits Ratsuchende mit Suiziddrohungen in die Beratungen: „Viele haben das Gefühl: ‚Selbst, wenn etwas kommt, ist es zu spät, so viel Zeit habe ich nicht mehr‘“.
Fazit des „Maybrit Illner“-Talks
Die gigantische Summe von 200 Milliarden Euro ist groß, vermutlich dennoch nicht groß genug. Kaum ein Wort über die Folgen der Schuldenmasse. Wer soll die Kosten am Ende tragen - und für wie lange? Die Stimmen der Talk-Gäste klangen bemüht optimistisch, allen voran Franziska Giffey. Inhaltlich blieb vieles im Vagen. (Verena Schulemann)