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Chef der Polizeigewerkschaft rechnet mit weiteren Durchsuchungen und Festnahmen bei Reichsbürgern

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Von: Max Müller

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Beamte der Polizei führen einen Reichsbürger ab.
Für Polizisten ist es nicht ungefährlich, Reichsbürger festzunehmen – dabei könnte das jetzt öfter passieren. © Uli Deck/dpa

Für die Deutsche Polizeigewerkschaft und deren Vorsitzenden Rainer Wendt war der Schlag gegen die Reichsbürger erst der Anfang. Auch in den eigenen Reihen müsse der Staat genauer hinschauen.

Köln – 25 Festnahmen, 54 Beschuldigte, 150 durchsuchte Wohnungen: Am Tag nach der groß angelegten Razzia im Milieu der Reichsbürger beginnt die Aufarbeitung. Für Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), ist klar: Das ist erst der Beginn. „Mit den ersten Festnahmen, die auch die Anordnung von Untersuchungshaft zur Folge hatten, sind führende Köpfe dieser Szene ins Blickfeld von Justiz und Öffentlichkeit gerückt; mit der Geheimhaltung, die ja zum Wesen dieser Szene gehört, ist es nun erst einmal vorbei“, sagte er auf Anfrage des Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA.

Wendt: „Es ist damit zu rechnen, dass es zu weiteren Durchsuchungen und Festnahmen, auch zu Beschlagnahmen von Beweismaterial kommen wird, die den Ermittlungsbehörden einen tiefen Einblick in die Strukturen, Kommunikationswege und Absichten geben werden.“ Die erste Bilanz liest sich nach Informationen der „Welt“ eher ernüchternd. Demnach fanden die Beamten in den Wohnungen eine scharfe Schusswaffe, Schreckschusswaffen, Prepper-Vorräte und Tausende Euro Bargeld. Dennoch warnen Experten und Politiker davor, die Szene zu unterschätzen oder gar zu belächeln. Auch Wendt wiegelt ab: „Diese Personen sind keine harmlosen Spinner, sie sind gefährliche Straftäter, die auf das Herz unserer demokratischen Ordnung zielen und sehr offensichtlich auch die Bereitschaft haben, unseren Staat ins Mark zu treffen.“

Polizei: 2016 stirbt ein Beamter durch den Schuss eines Reichsbürgers

Dabei bestehe auch eine Gefahr für die Polizisten. „Bei früheren Festnahmen hat sich gezeigt, dass von einzelnen Personen eine große Gewaltbereitschaft ausgeht, die sich auch gegen Polizeikräfte richtet“, so Wendt. In besonders dramatischer Erinnerung ist ein Tag aus dem Jahr 2016 geblieben. Damals kam es zu einer Schießerei, als ein Reichsbürger entwaffnet werden sollte. Er eröffnete das Feuer auf die Polizei und töte einen Beamten.

Auch in diesem Jahr gab es einen Vorfall, sagte Jochen Kopelke, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf Anfrage dieser Redaktion: „In Baden-Württemberg ist eine Einsatzkraft verletzt worden. Es ist höchste Vorsicht geboten. Reichsbürgern müssen umgehend vorhandene Waffen weggenommen und es verhindert werden, dass diese legal in den Besitz von Waffen kommen.“

Bewaffnete Reichsbürger: Wie können Polizisten besser geschützt werden?

Grundsätzlich gebe es aber gute Möglichkeiten, erklärt Wendt, die Polizisten zu schützen und schwierige Festnahmen durch Spezialeinheiten durchführen zu lassen. „Im Alltag stoßen manche Beschäftigte rasch an ihre Grenzen, wenn sie auf entschlossene, gut geschulte Agitatoren aus der Reichsbürger-Szene treffen“, sagte Wendt. „Deshalb bleibt sorgfältige Fortbildung und auch Trainings von solchen Einsatzsituationen notwendig.“

Dass die Aktion so reibungslos abgelaufen ist, grenzt an ein Wunder. Immerhin waren laut Bundesanwaltschaft 3000 Beamte beteiligt. 3000 Menschen sind immerhin 3000 Möglichkeiten, Informationen weiterzugeben. Kurios: Unter den Festgenommen sind ehemalige Beamte – zum Beispiel ein Hauptkommissar aus Niedersachsen, der allerdings bereits aus dem Polizeidienst ausgeschieden ist, wie der „NDR“ berichtet. Auch Birgit Malsack-Winkemann, Ex-AfD-Abgeordnete und Richterin, wurde festgenommen.

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Extremisten im Staatsdienst: „Niemand kann wollen, dass Reichsbürger unsere Kinder unterrichten“

Die Annahme, Polizisten hätten eine gewisse Affinität zu Reichsbürgern, findet Wendt „absurd“. Sie würden fest zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen – und seien gerade deshalb ein Angriffsziel für Reichsbürger. Wie man verhindern will, dass Reichsbürger in den staatlichen Dienst gelangen und die Demokratie gewissermaßen „von innen“ abschaffen – das ist eine Aufgabe, bei der Wendt nicht nur die Polizei in die Pflicht nimmt. „Als Deutsche Polizeigewerkschaft lehnen wir die alleinige Fixierung auf die Sicherheitsbehörden ab“, sagte er.

Die Fokussierung auf die Polizei bediene nur ein altes, vorurteilsbeladenes Denken, sagte Wendt. „Nach unserer Auffassung müssen Extremisten aus allen Bereichen des öffentlichen Dienstes herausgehalten werden; wer beim Staat arbeiten will, muss sich als zuverlässig und verfassungstreu erweisen, wo auch immer er oder sie arbeiten will. Niemand kann wollen, dass Reichsbürger unsere Kinder an Schulen unterrichten, in Rathäusern an persönliche Daten von Bürgerinnen und Bürgern kommen oder in Gesundheitsbehörden höchst sensible Informationen verarbeiten. Reichsbürger und andere Extremisten dürfen in unseren Behörden nicht einmal an der Pforte eingestellt werden!“

Auch den GDP-Vorsitzenden Kopelke treibt diese Sorge um. „Es gibt sehr viele qualifizierte Menschen in diesem Land, die das Zeug dazu hätten, den herausfordernden Polizeidienst zu meistern, immer weniger gehen jedoch diesen Weg oder kehren der Polizei schnell wieder den Rücken“, sagte er. „Das macht mir große Sorge.“

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