Opposition läuft sich warm

Schluss mit der Jamaika-Gemütlichkeit: Das neue Regierungsbündnis aus CDU und Grünen muss sich in härter gewordenen Zeiten beweisen. Ernste Probleme stehen ins Haus, Taten sind gefragt und die Opposition läuft sich warm.
Kiel – Gut drei Monate nach der Landtagswahl startet die Landespolitik in Schleswig-Holstein nach der Sommerpause „richtig“ in die neue Wahlperiode. Die Folgen des Ukraine-Kriegs mit drohender Gaskrise und drastischen Preiserhöhungen werden der schwarz-grünen Regierung das Leben schwer machen, mögliche Proteste und soziale Spannungen, der ungewisse Corona-Herbst und die unklare Haushaltslage auch. Zudem will das Land überproportional zum Ausbau erneuerbarer Energien beitragen, was bei Windkraft an Land konfliktträchtig ist. Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hat einiges vor sich.
„Ich habe die Urlaubszeit mit meiner Familie gut genutzt und freue mich darauf, gemeinsam mit meinem neuen Kabinett unser 100-Tage-Programm für Schleswig-Holstein umzusetzen und die Zeit darüber hinaus zu planen“, sagte er. „Dafür bereiten wir eine Kabinettsklausurtagung vor.“ Zuvor endet an diesem Montag in Neumünster eine zweitägige Klausur der CDU-Fraktion mit Günther.
Am 31. August berät erstmals nach der Sommerpause der Landtag. Vor den Ferien, in der ersten Sitzung nach seiner Wiederwahl, hatte den Ministerpräsidenten die geballte Kritik der Opposition aus SPD, FDP und SSW getroffen – weil er keine Regierungserklärung abgab. SPD-Fraktionschef Thomas Losse-Müller attestierte Günther „Wohlfühlpopulismus“. Die Regierung wolle erst in einer Klausur ein Arbeitsprogramm erstellen, dann folge die Regierungserklärung, hieß es damals.
Zwei Wochen nach der Landtagssitzung Ende Juni, schon in der Ferienzeit, verblüffte die Regierung dann mit einer Pressemitteilung, wonach das Kabinett ein 100-Tage-Programm beschlossen habe. Nun wartet die Opposition gespannt auf Weiteres. Zu besagter Klausur kommt das Kabinett jetzt am 22./23. August in Bad Segeberg zusammen.
Auf besonderes Interesse wird das Agieren der neuen Minister stoßen. Werner Schwarz (Landwirtschaft/CDU) hat eigentlich voll zu tun mit dem Aufbau seines neuen, vom Umwelt- und Energieressort abgekoppelten Hauses. Doch er geriet schon ins Kreuzfeuer der Kritik, weil er sich in der Agrarministerkonferenz – vor dem Hintergrund ausbleibender Exporte aus der Ukraine – nicht für ein Aussetzen der geplanten Stilllegung von Ackerflächen stark gemacht hatte. Die FDP, die Günthers Entscheidung für eine Koalition mit den Grünen statt mit ihr tief erzürnt hat, attestierte der CDU erneutes „Umfallen“. Mittlerweile gibt es bei dem Thema eine Lösung.
Kerstin von der Decken, auch CDU, muss als neue Gesundheitsministerin die Corona-Pandemie managen. Die Juristin hat als Mitglied der Expertenkommission der Regierung Erfahrungen auf diesem Feld gesammelt und kann sich auf ein gut bestelltes Haus verlassen, wobei das Zusammenlegen von Justiz und Gesundheit ungewöhnlich bleibt.
Mit besonderer Aufmerksamkeit gerade von Vorgänger Bernd Buchholz (FDP) muss Claus Ruhe Madsen (Wirtschaft/parteilos) rechnen. Der unkonventionelle Däne hat immerhin gesagt, er wolle Buchholz nach dessen Motiven für frühere Entscheidungen fragen, wenn er die Sache anders sieht als dieser. Mit dem Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft, dem LNG-Terminal in Brunsbüttel und diversen Verkehrsthemen liegt genug Arbeit vor dem früheren Rostocker Oberbürgermeister.
Im Fokus befindet sich auch Aminata Touré (Soziales/Grüne). Die erste afrodeutsche Ressortchefin hatte als Landtagsabgeordnete selbstbewusst Akzente gesetzt. In den Koalitionsverhandlungen bewies die medienaffine Frau an der Seite von Finanzministerin Monika Heinold Durchsetzungskraft. Nun muss die 29-Jährige ein Haus mit rund 300 Mitarbeitern führen, das auch für Integration, Gleichstellung, Jugend, Familie und Senioren zuständig ist. Touré und Madsen gelten „alten Hasen“ auch aus dem Koalitionslager als die „Wundertüten“ im Kabinett Günther II. Der Grüne Tobias Goldschmidt (Umwelt) ist vom Staatssekretär zum Minister aufgestiegen – von ihm werden fachlich solide Arbeit bei Energiewende und Klimaschutz erwartet – sowie ordentliche Zusammenarbeit mit Agrarminister Schwarz.
Und die Opposition? SPD-Fraktionschef Losse-Müller hat nach der bitteren Niederlage zur Landtagswahl signalisiert, dass er Günther an Taten messen will. Mit dem Entwurf eines Wohnraumschutzgesetzes haben die auf eine zwölfköpfige Fraktion geschrumpften Sozialdemokraten auch inhaltlich schon etwas vorgelegt. „Vom Ministerpräsidenten ist seit der Wahl nicht viel gekommen, stattdessen gab es fragwürdige Zuschnitte von Ressorts, mehr Staatssekretäre und mehr Personal“, sagte Losse-Müller.
Die FDP könnte sich als „putzmuntere Opposition“ erweisen, die Liberale schon öfter postuliert hatten. Im Sommer war davon bereits einiges zu spüren. Jetzt fordert Fraktionschef Christopher Vogt den Regierungschef auf, sich nicht weiter wegzuducken. „Von einem Fehlstart der Landesregierung möchte ich noch nicht sprechen, denn wirklich gestartet ist Schwarz-Grün ja noch immer nicht“, lästert er.
Der SSW, mit dem Günther auch hätte regieren können und der vergeblich auf einen Anruf lauerte, pflegt gewöhnlich eine zurückhaltendere Oppositionsrolle. Der Partei der dänischen und friesischen Minderheit gelang es mit ihrem Kurs auf pragmatische Weise schon öfter, aus der Opposition heraus Ziele zu erreichen. dpa