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Im Umspannwerk Heide West informieren sich Jörg Rudat (v.l.), Energiedienstleister Hansewerk, und Klaus Deitermann, Programm-Manager bei Tennet TSO über die Fortschritte.
Im Umspannwerk Heide West informieren sich Jörg Rudat (v.l.), Energiedienstleister Hansewerk, und Klaus Deitermann, Programm-Manager bei Tennet TSO über die Fortschritte. © dpa

In Dithmarschen geht die Wasserstoff-Post ab

Heide – Windstrom und Wasser sind in rauen Mengen da und jetzt auch eine Fülle von Ideen und Projekten, die aus einer Region im Abstieg einen dynamischen Aufsteiger machen sollen. Dithmarschen, Europas größtes geschlossenes Kohlanbaugebiet, will über sich hinaus wachsen. Im Zentrum steht Wasserstoff als Schlüsselelement der Energiewende. „Die Region ist sehr cool, die Chancen sind gigantisch“, sagt mit Ulf Jörgensen ein Akteur, der mit einem Start-up global gestartet ist. „Die nächsten Jahre geht hier richtig was ab.“ In Schleswig-Holsteins Südwesten verheißt der Wasserstoff-Pfad allenthalben Aufbruch.

Der Durchstarter: Jörgensens H2 Core Systems ist Spezialist für modular aufgebaute Wasserstoff-Gesamtsysteme. Das bedeutet eine komplette Energieversorgung, beliebig erweiterbar, ortsunabhängig und so für abgelegene Orte bestens geeignet. Solar- oder Windstrom rein, ein kleiner Elektrolyseur, ein Tank als Wasserstoff-Speicher und eine Brennstoffzelle, so ist erneuerbare Energie rund um die Uhr nutzbar. Das Leistungsspektrum reicht von 2,4  Kilowatt für Anwendungen im kleinen Haus bis zum Ein-Megawatt-System im 40-Fuß-Container-Format.

Die Region ist sehr cool, die Chancen sind gigantisch.

 Ulf Jörgensen, Start-Up-Unternehmer

Binnen eineinhalb Jahren hat das 25-köpfige Team von Geschäftsführer Jörgensen über 200 Geräte produziert. „Wir haben Kunden auf allen Kontinenten.“ Dieses Jahr werde der Umsatz auf zehn Millionen Euro verfünffacht. „Wir sind in 40 Ländern unterwegs“, sagt Jörgensen. 500 Systeme sollen es 2023 werden. Ab 2025 werde eine große neue Produktionshalle gebraucht. „Und wir werden ein eigenes Schulungszentrum aufbauen.“

Der Anker: Grüner Wasserstoff

Die Raffinerie Heide koordiniert das Projekt „Westküste 100“, investiert da mit Partnern 100 Millionen Euro. „Ziel ist, in industriellem Maßstab im ersten Schritt mittels Elektrolyse aus erneuerbarem Strom grünen Wasserstoff zu erzeugen“, sagt die Bereichsleiterin Commercial and Economics, Sandra Niebler. In der nächsten Stufe „Hyscale 100“ soll dann grüner Wasserstoff im großindustriellen Maßstab hergestellt werden, mit 700 Megawatt Elektrolyseleistung. Die Umstellung von Prozessen soll perspektivisch die Bindung von einer Million Tonnen CO2 pro Jahr bewirken.

Mit einem 30-Megawatt-Elektrolyseur will die Raffinerie ab 2026 mittels erneuerbarer Energien Wasserstoff erzeugen und in einer ehemaligen Salzkaverne verflüssigt zwischenspeichern, um auch in windschwachen Zeiten industrielle Prozesse aufrechtzuerhalten. Wasserstoff soll in einem Forschungsprozess auch in das Erdgasnetz eingespeist werden, um daraus für künftige Anwendungen zu lernen. Aus der 700-Megawatt-Elektrolyse wird wohl mehr Abwärme entstehen, als ganz Dithmarschen nutzen könnte. „Den Luxus, Energie dauerhaft zu vernichten, sollten wir uns nicht leisten“, sagt Niebler. Ziel ist die Erzeugung von Produkten wie grünem Methanol, die dann weiter veredelt werden können. Dazu wird die Raffinerie auch CO2 aus einem Zementwerk beziehen.

Der Hoffnungsträger: Batteriezellen für E-Autos

Der schwedische Konzern Northvolt hat Heide als europäischen Standort einer Batteriezellenfabrik für E-Autos erwählt. Doch mittlerweile locken die USA mit weit niedrigeren Strompreisen und höheren Subventionen. Damit könnte sich der Bau der Fabrik in Heide verzögern, deutete Firmenchef Peter Carlsson an. Die Entscheidung, welcher Standort zuerst dran ist, wird in absehbarer Zeit erwartet. In Dithmarschen könnte Northvolt 3 000 Menschen beschäftigen und bis zu 4,5 Milliarden Euro investieren.

In Heides Vorort Lohe-Rickelshof und in Norderwöhrden liegen für die Fabrik 110 Hektar Wiese und Acker bereit, dazu etwa 40 Hektar für sogenanntes Nebengewerbe. Batteriezellen für bis zu eine Million E-Autos könnte das Werk jährlich liefern. Ein Vortrupp ist schon in Containern da. Geplant ist auch eine Recyclinganlage für Altbatterien ausrangierter E-Autos. Kommt Northvolt, wird das Magnetwirkung haben. „Northvolt wird ein Riesenbeschleuniger“, sagt der in der Region verwurzelte CDU-Landtagsabgeordnete Andreas Hein.

Grüne Steckdose: Gleichstrom-Drehkreuz

Ein europaweit einzigartiges Gleichstrom-Drehkreuz (Multi-Terminal-Hub) bauen die Netzbetreiber Tennet und 50Hertz. 2032 sollen vier Gigawatt Offshore-Windenergie am Netz sein. Auf 12 Hektar steht ein schon beeindruckendes Umspannwerk von Tennet und SH Netz AG. Bis 2028 sollen 60 Hektar dazukommen. Hinterm Umspannwerk rotiert ein „Sünndreiher“ („Sonnendreher“), eine Fotovoltaik-Anlage auf einem Hallendach, die sich mit dem Sonnenstand dreht – so wächst die Ausbeute.

Dahinter sind Hunderte Windanlagen zu sehen – von den 3 150 im Land steht ein Viertel in Dithmarschen. Die Westküstenleitung von Brunsbüttel zur dänischen Grenze soll im Spätsommer fertig sein. In Planung ist auch ein Erdkabel für den Windstrom-Abtransport bis in den Raum Schwerin. Von dort geht es dann nach Süden weiter.

Auch Fotovoltaik boomt. Wie kommt der Netzausbau mit? „Das ist eine Herkulesaufgabe“, sagt Jörg Rudat vom Energiedienstleister Hansewerk. „Wir hätten gern einen Regionalplan wie bei Wind.“ Rudat wünscht sich zumindest einen Fotovoltaik-Flächenatlas. „So wüssten wir früher, wo Umspannwerke hinmüssen.“ Rudat befürchtet ohne Planungsvorgaben ein Glücksrittertum im Ausbau, da die Fotovoltaik-Nutzung bisheriger Agrarflächen lukrativ ist. „Geld ist da bei den Energiebauern“, meint Programm-Manager Klaus Deitermann von Tennet. „Viele Gemeinden sehen hier die Chance auf zusätzliche Einnahmen.“ Das Fehlen einer Fotovoltaik-Planung auf Landesebene rügt auch Deitermann.

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