Viele Neulinge und zwei alte Hasen

Einige sind seit Jahrzehnten dabei und viele zum ersten Mal: Der neue Landtag an der Förde vereint erfahrene Politiker mit vielen ehrgeizigen jungen Politikern. Das Parlament ist jünger und weiblicher geworden.
Kiel – Zu seiner Landtagspremiere war Werner Kalinka (CDU) 25 Jahre alt. 45 Jahre ist das her. Als Ministerpräsident wirkte in Kiel Gerhard Stoltenberg, später Finanz- und Verteidigungsminister der Bundesrepublik. Die CDU regierte mit absoluter Mehrheit; als Justizminister amtierte Henning Schwarz, Vater der heutigen Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack, und als Sozialminister Karl Eduard Claussen, Vater des heutigen Justizministers Claus Christian Claussen (alle CDU). Das Akw Brunsbüttel war seit Kurzem am Netz, der Bau des Reaktors in Brokdorf wegen Klagen gestoppt. Zur konstituierenden Sitzung des Landtags in der 20. Wahlperiode ist Kalinka an diesem Dienstag wieder dabei, als 70-Jähriger.
Der Christdemokrat aus dem Kreis Plön ist der älteste Abgeordnete an der Förde. „Man muss mit der Zeit gehen, und das tue ich auch“, sagt Kalinka, der in der vergangenen Legislaturperiode den Sozialausschuss leitete. „Für junge Menschen habe ich immer großes Verständnis gehabt und viele Kontakte zu ihnen gepflegt.“ Der jüngste Abgeordnete im neuen Landtag ist mit 24 Jahren der Grüne Jasper Balke aus Lübeck. Wenn alles läuft wie geplant, werden der Oldie und der Youngster bald einer gemeinsamen Koalition angehören. Bei Kalinkas erstem Einzug in den Landtag wäre ein solches Bündnis schon deshalb unmöglich gewesen, weil die Partei der Grünen erst 1980 gegründet wurde.
Es sei gut, dass der Landtag auch altersmäßig die ganze Gesellschaft abbilde, sagt Medizinstudent Balke. Kalinka kenne er bereits: „Wir verstehen uns gut“. Balke will sich besonders in der Gesundheitspolitik engagieren. Er war gleich nach dem Abi in die Krankenpflege gegangen. Die Arbeitsbedingungen im Gesundheitssystem müssten besser und die Prävention ausgebaut werden, sagt der Medizinstudent. Ein Ziel sollte sein, dass weniger Menschen das Gesundheitssystem in Anspruch nehmen müssten. Die angestrebte Koalition mit der CDU unterstützt Balke: „Es ist der richtige Weg, zu regieren und diese Koalition anzustreben“. Die Grünen respektierten den Wahlerfolg der CDU und wollten ihre Ideen in das Bündnis einbringen.
Als Balke am 29. Oktober 1997 geboren wurde, saßen „seine“ Grünen seit eineinhalb Jahren im Landtag. Aus der außerparlamentarischen Opposition heraus waren sie gleich in die Regierung durchgestartet. Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) schluckte damit höchst ungern die „grüne Kröte“, wie sie die Partei tituliert hatte. Es war eine schwierige erste rot-grüne Zeit, geprägt nicht zuletzt von Konflikten um die A20, die auch heute längst nicht fertig ist und deren Weiterbau Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) vor dem Start der aktuellen Koalitionsgespräche als unverhandelbar eingestuft hatte.
Im statistischen Durchschnitt war ein Abgeordneter des am 8. Mai gewählten neuen Landtags zum Beginn dieser Wahlperiode 47,5 Jahre alt. Zum Start der vorherigen Legislatur waren es 51 Jahre. Acht Abgeordnete sind jünger als 30 – fünf bei den Grünen, drei bei der CDU.
26 der 69 Abgeordneten sind Frauen. Deren Anteil beträgt damit nunmehr 37,7 Prozent. So hoch war der Wert nach Landtagsangaben seit Ende der 90er-Jahre nicht mehr. Bei den Grünen sind acht der 14 Fraktionsmitglieder weiblich, bei der CDU neun von 34.
Die meisten Landtagsjahre hat nicht der 70 Jahre alte Kalinka auf dem Buckel, sondern Fraktionskollege Peter Lehnert aus Bilsen im Kreis Pinneberg. Der 59-Jährige gehört dem Parlament durchgehend seit 1992 an. Damit steht ihm das Amt des Alterspräsidenten zu: Dieses darf derjenige bekleiden, der die längste Zeit im Landtag ist. Und Kalinka kommt nur auf 23 Jahre, da er von 1983 bis 2000 und von 2012 bis 2017 nicht dabei war. Lehnert wird im Oktober 30 Jahre und fünf Monate dabei sein und damit den Sozialdemokraten Günter Neugebauer (1979 bis 2009) als Rekordhalter ablösen. Als Alterspräsident wird er die konstituierende Sitzung am Dienstag eröffnen.
32 der 69 Abgeordneten sitzen zum ersten Mal im Parlament an der Kieler Förde. Die Quote liegt mit 46,4 Prozent deutlich höher als in den vergangenen beiden Wahlperioden, als es 32,9 Prozent und 23,2 Prozent waren. 2009 war sogar jeder zweite Abgeordnete neu. Derzeit sind bei der CDU (18 von 34) und bei den Grünen (9 von 14) mehr als die Hälfte der Fraktionsmitglieder erstmals dabei. Zu dieser Gruppe gehört auch eine Frau, die in der Landtagshierarchie gleich ganz nach oben rutscht: Die bisherige Innenstaatssekretärin Kristina Herbst (44) wurde von der CDU für die Wahl zur Parlamentspräsidentin nominiert.